Dienstag, 16. Juni 2015

Schistosomiasis (Bilharziose) - können Posthornschnecken krank machen?

„Da ist der Wurm drin!“ Dieser Begriff bekommt eine völlig andere Bedeutung, wenn man selbst betroffen ist. So wie Stefan Böhm, bei dem in zweifacher Hinsicht „der Wurm drin ist“. Er wird nämlich nicht nur seit Jahren von einer fiesen Tropen-Wurmkrankheit gequält, sondern musste auch noch kränkende Kommentare seiner Mitmenschen ertragen. Wehe dem, der was hat, was kein Arzt auf Anhieb findet! 
Der arme Mann hat eine Ärzte-Odyssee hinter sich, wo jede neue Hoffnung auf eine Diagnose und erfolgreiche Behandlung am Ende wieder nur noch mehr Fragen als Antworten aufwarf. Stefan Böhm war nämlich nie in den Tropen – und so wurde von den konsultierten Ärzten auch nie in diese Richtung geforscht. Motto: "Interpretieren statt diagnostizieren". Stefan wurde nicht ernst genommen, sogar ausgelacht. Bis er endlich in der Marburger Uniklinik im „Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen“ gelandet war. 
Zwar gibt es dort keinen „Dr. House“ wie im Fernsehen, aber Fachärzte, die genauso eine Denke haben wie der berühmte Fernsehserien-Arzt. Ärzte, die ähnlich wie "House" sehr viel genauer hinschauen, sich Zeit nehmen für eine umfassende Anamnese, weder Mühen noch Kosten scheuen und tatsächlich auch immer wieder fündig werden. Fündig werden dort, wo andere längst aufgegeben haben. 
Was das mit Aquarien zu tun hat? Alles! Denn Stefan Böhm, ehemaliger Moderator im Garnelenforum, kann sich nur über eines seiner 16 Aquarien diesen fiesen Parasiten eingefangen haben. 
Eigentlich umgekehrt, denn der Parasit sucht und findet einen Wirt, ein Tier oder einen Mensch, dringt durch die Haut in den Körper ein, wandert über die Lunge in die Leber und von dort aus in den Darm oder die Harnblase, nistet sich dort ein und ernährt sich vom Blut seines Wirts. 
Aber eins nach dem anderen. Am Anfang ist das Ei. In den Tropen (die meisten Ansteckungen erfolgen in Afrika) scheidet ein Wirt (meist ein Mensch) Parasiten-Eier in ein stehendes flaches Gewässer mit Temperaturen über 20°C aus (mit Urin oder Fäkalien). Dort entwickelt sich zeitnah eine Larve, die einen Zwischenwirt befällt - eine bestimmte Schneckenart. In der Schnecke reifen die Larven zu sogenannten "Zerkarien" heran und gelangen von der Schnecke zurück in das stehende warme Gewässer. Treffen sie dort auf einen weiteren Wirt bohren sie sich durch die Haut und machen sich auf die Suche nach einem Blutgefäß. In dieser Phase bekommen Betroffene einen juckenden Hautausschlag. Nach ein paar Tagen erreichen die Mietnomaden die Blutbahn und machen sich auf ihren Weg durch den Körper, bis sie schließlich in Blase oder Darm landen. Mittlerweile sind sie zu „Schistosomen“ herangereift, Würmern von der Größe bis zu zwei Zentimeter. Daher auch der Namenszusatz Bilharziose (Schistosomiasis). Innerhalb von Wochen bis Monaten reagiert der menschliche Körper mit grippeähnlichen Symptomen wie Fieber, Schüttelfrost und einer Reihe weiterer Beschwerden. In der chronischen Phase kann ein schweres Krankheitsbild die Folge sein, je nach Sitz des Wurms mit massiven blutigen Durchfällen und weiteren Verdauungsproblemen, Geschwüren, neurologischen Ausfällen, Krampfanfällen und vielem mehr. Je später die Behandlung beginnt, umso langwieriger ist die Therapie. Die Einnahme eines Antihelmeninthikums (Mittel gegen Wurminfektionen) muss solange durchgeführt und wiederholt werden, bis das körpereigene Immunsystem die Würmer ausschalten kann, damit keine Eier mehr produziert werden. Sind Organe schon geschädigt, gibt es für Betroffene kaum Hoffnung auf Besserung der Symptome. Deshalb war und ist es für Stefan ein Wettlauf gegen die Zeit gewesen. Wertvolle Zeit, die nicht mehr zurückgeholt werden kann. Zeit, in der er als "Psycho" abgestempelt wurde. Heute ist er schwerbehindert. Nicht nur durch die Bilharziose bedingt, Stefan hat viele Baustellen, aber die Würmer haben den größten Schaden angerichtet. Da er krankheitsbedingt arbeitsunfähig wurde, muss das Einkommen seiner Frau für die ganze große Kleinfamilie reichen. Als Nächstes droht ihm Hartz 4. Nicht mal eine Rente wird er bekommen, da er viel zu jung krank geworden ist und deshalb nicht lange genug Beiträge in die Rentenkasse einzahlen konnte. 
Bilharziose ist keine seltene Erkrankung – wenn man in den Tropen war. Bilharziose ist eine klimaabhängige Krankheit. Tropenheimkehrer bringen immer wieder Würmer mit, denn es reicht ein kurzer Kontakt mit kontaminiertem Wasser, ja sogar schon ein kleiner Spritzer, um sich anzustecken. Aber Stefan war nicht in Afrika oder sonst irgendwo in den Tropen. Stefan hatte allerdings 16 Aquarien, war begeisterter Aquarianer wie Du und ich. Und Stefan hatte Schnecken in seinen Aquarien. Dass er Aquarien hat, hatte Stefan bei den Arzt-Anamnesen immer angegeben, hat nur leider niemand interessiert. Stefan ist bis heute eine Rarität, denn bisher gab es keinen bekannten Fall von Bilharziose außerhalb der Tropen und schon gar nicht akquiriert durch Süßwasserschnecken aus einem Glaskasten. 
Sicher fragt Ihr Euch schon lange, um welche Schneckenart in seinen Aquarien es sich handelt? Das weiß man leider nicht. Stefan hatte viele unterschiedliche Schnecken in den Aquarien. Aber was mehrere wissenschaftliche Quellen übereinstimmend berichten, ist, dass unter anderem "Planorbidae" zu den üblichen Verdächtigen gezählt werden. Ein guter Grund für manche Aquarianer, mich nach meiner Meinung dazu zu befragen, wie ich das in letzter Zeit immer mal erlebe, denn ich pflege Tausende von Planorbidae, nämlich amerikanische Posthornschnecken Planorbella duryi sowie europäische Posthornschnecken Planorbarius corneus in 18 Aquarien und mache kein Geheimnis daraus. Was das konkret für uns Aquarianer für Folgen hat, das weiß ich nicht und weiß wohl auch sonst noch niemand. Sollten die gängigen Süßwasserschnecken befallen sein, müsste es allerdings unzählige Betroffene geben, vor allem auch mich. Ich sehe aber keinerlei Risiko für mich oder andere, denn die als Zwischenwirt zitierten „Biomphalaria glabrata“ gehören zwar auch zu den Planorbidae (Tellerschnecken), aber nicht jede Tellerschnecke ist automatisch ein potentieller Zwischenwirt für solche Parasiten. Ich zitiere dazu einen wissenschaftlichen Artikel von der Uni Bielefeld. „Bilharziose – auch bei uns? Aufgrund des Fehlens der spezifischen Zwischenwirtschnecken in unseren Gewässern und der niedrig liegenden Jahresdurchschnittstemperatur kann eine Ausbreitung der Krankheit in unseren Breitengraden ausgeschlossen werden.“ Link: www.uni-bielefeld.de 
Wie die Parasiten in Stefans Aquarium gekommen sind, wird wohl ein Rätsel bleiben. Geeignete Zwischenwirte haben sie offensichtlich nicht gefunden, zumindest nicht nachhaltig, denn Stefan Böhms Aquarien wurden nach der Diagnose-Stellung umgehend wissenschaftlich untersucht und keinerlei Parasiten gefunden. Was nicht überrascht, denn die Zerkarien sterben innerhalb von etwa 48 Stunden, wenn sie keinen passenden Wirt finden. Als Stefans Aquarienwasser untersucht wurde, hatte er bis auf ein Fischbecken schon längst alle Becken heruntergefahren. 
Die auf Grund dieser Geschichte immer wieder an mich gestellte Frage, ob von Schnecken im Aquarium ein Risiko ausgehen kann, beantworte ich abschließend wie folgt: Regionale Züchter, die seit Jahren eigene Nachzuchten pflegen und vermehren, können nur gesunde Tiere haben, die keine lebensgefährlichen Parasiten als Mietnomaden beherbergen. Bilharziose ist so ansteckend, dass diese Züchter gar keine Chance hätten, sich nicht zu infizieren, selbst wenn das Immunsystem den Ausbruch lange in Schach halten würde - es wäre nur eine Frage der Zeit. 
Was Importtiere angeht, soll sich jeder selbst einen Reim darauf machen. Ich persönlich kaufe auch weiterhin Importtiere, würde aber nur noch dort importierte Schnecken kaufen, wo die Tiere in ausreichend langer Quarantäne gehalten werden, bevor sie in den Verkauf kommen. Ich erwerbe meine Schnecken deshalb am Liebsten bei befreundeten Händlern, wo ich die Haltungsbedingungen kenne, ansonsten von vertrauenswürdigen Privatzüchtern. Meinen Eigenbedarf vermehre ich selbst. 
Mein Rat: Freut Euch an den Schnecken, die Ihr habt und kauft Nachschub mit Bedacht. Dann seid Ihr auf der sicheren Seite. 
Falls jemand auf Grund meines Artikels eine Möglichkeit sieht, den Aquarianer Stefan Böhm und seine Familie auf irgendeine Weise zu unterstützen, so bitte ich höflich um Kontaktaufnahme. 
Stefan Böhm
Quellen: 

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